Nachdem Lauterbach am 16.03.1266 urkundlich die Stadtrechte zugesprochen wurden, begann man mit der Errichtung eines steinernen Schutzringes um den damals noch sehr kleinen Ort, also einer Stadtmauer mit den üblichen Wehrtürmen. Diese Türme waren wie seinerzeit üblich „vorgebaut“. Sie standen aus der Mauer heraus, was damals modernster Wehrtechnik entsprach. So konnte man von ihnen aus nicht nur das vorgelagerte Gelände einsehen, sondern auch direkt die Außenseite der Stadtmauer überwachen und Angreifer seitlich bekämpfen.

Einer dieser Wehrtürme war der „Portturm“, der an der Süd-Ost-Seite der Stadtmauer direkt neben der „Port“, also der Pforte zum Stadtinneren postiert war. Er ist heute der letzte Zeuge der kriegerischen Zeit des 13. und 14. Jahrhunderts. Die ehemalige Stadtmauer ist leider nur noch rudimentär vorhanden bzw. nur noch an sehr wenigen Stellen sichtbar.

 
 
 

 

An den mächtigen „Diebsturm“ am Untertor in der heutigen Bahnhofstraße erinnert heute leider nichts mehr. Vom mächtigen Stadtturm des „Türmertores" am heutigen „Berliner Platz“ ist wenigstens noch der Fachwerkaufbau erhalten, der heute aber unbeachtet und abseits des Stadtkerns als Gartenhaus sein Dasein fristet.

Die Überreste des Turms an der Mang im Westen sind im Unterstock zwar erhalten, aber wirklich schwer auszumachen. Aus dem Fundament des Spittelsturms im Osten wurde später das mittlerweile auch wieder verschwundene Gefängnis. Hier befindet sich heute ein neu errichtetes Geschäftshaus. Vom Graben aus sind die Fundamente des Spittelsturms aber nach wie vor sichtbar.

So ist der Ankerturm das einzig fast komplett erhaltene Zeugnis der ehemaligen Wehranlage. Seinen heute gebräuchlichen Namen „Ankerturm“ erhielt er aber erst über 600 Jahre nach seiner Erbauung.

 
 
 

 

Der ursprünglich etwa 13 Meter hohe Turm endete seinerzeit in einem offenen Rundgang und ermöglichte dadurch die Beobachtung der näheren Umgebung und die Bewachung der so genannten „Port“, also der südlichen Pforte, die einst der Hauptzugang zur Stadt war. Das als Beobachtungs- und Wehrturm errichtete Bauwerk wurde später auch zeitweise als Gefängnis genutzt.

An den Begriff „Port“ erinnert auch heute noch die „Porttreppe“, die auch damals schon seitlich am Turm vorbei direkt hinauf zum Marktplatz führte. Der heute so markante sechseckige Fachwerkaufbau, der den Turm zu einem der beliebtesten Fotomotive Lauterbachs macht, wurde aber erst im 19. Jahrhundert aufgesetzt.

 
 
 

 

Im 15. Jahrhundert musste der „Turm an der Pforte zum Wichhaus“, wie er in alten Aufzeichnungen auch genannt wurde, dann zum ersten Mal instand gesetzt werden. „Wichhaus“ bezeichnet dabei das bereits 1363 urkundlich erwähnte Schützenhaus, welches einige Hundert Meter vor der Stadtmauer lag. Es gab im Laufe der Jahre einem ganzen Vorort seinen Namen. Mittlerweile ist "Das Wichhaus" ein Viertel von Lauterbach.

Im Jahr 1707 erfolgte dann erneut eine Renovierung des Ankerturms. Lauterbach zählte seinerzeit ca. 1550 Einwohner und 350 Häuser. Die Stadtmauer war mittlerweile von den noch heute vorhandenen kleinen Fachwerkhäusern gesäumt.

Die kleinen Fachwerkhäuser vor der Stadtmauer waren meist kurz nach dem 30jährigen Krieg entstanden. So wohnte hier auch der Lauterbacher Bürger und Chronist Jean Louis Tilleur (1735-1810), dessen „Chronica“ wir einzigartige Schilderungen der damaligen Begebenheiten zu verdanken haben. Sein Haus stand „Am Graben 14“, also genau rechts neben dem Ankerturm.

 
 
 

 

Im Gegensatz zu heute gab es damals aber noch einen freien Streifen zwischen den Häusern des oberen Grabens und der Stadtmauer. Diese musste frei einsehbar sein, um Feinde zu erspähen, oder Reparaturen durchführen zu können. Die hinteren Hauserweiterungen, die heute bis direkt an die Mauer reichen, entstanden erst später. Die Fronten der Häuser hat das aber nicht beeinflusst. Daher gehört das Gebiet des „Oberen Grabens“ heute noch zu den idyllischsten Ecken Lauterbachs.

Im Jahr 1707 setzten sich dann die Bürgermeister Obermann und Pfaffenrat (Lauterbach hatte früher immer zwei Bürgermeister!) persönlich für die Erhaltung des Turms ein, wovon noch heute eine damals eingelassene Sandsteintafel zeugt:

Johannes Obermann
et Johann Caspar Pfaffenrat
Consules ab imminente
ruina me liberarunt 1707

 

Frei übersetzt:
Den Bürgermeistern Johannes Obermann und Johann Caspar Pfaffenrat die mich vor dem drohenden Einsturz bewahrt haben 1707

 
 
 

 

Im Jahr 1808 kaufte dann Johann Friedrich Diehm jun. den Ankerturm von der Stadt und verband ihn baulich mit seinem auf dem Marktplatz befindlichen Anwesen. Diehm stammte aus einer angesehenen Händlerfamilie und gehörte zu den wohlhabenden Bürgern Lauterbachs.

Die Stadt zählte mittlerweile ca. 2400 Bürger und 475 Häuser. Sie war seinerzeit allerdings durch die vergangenen Kriege (30jähriger und 7jähriger Krieg) und die aktuellen napoleonischen Kriege in erheblicher finanzieller Not. Der Verkauf des städtischen Portturms an eine Privatperson half damals, diese Not etwas zu lindern.

Im Jahr 1845 bekam der Ankerturm dann endlich seinen markanten, achteckigen Fachwerkaufbau und wuchs damit auf eine stattlich Höhe von über 18 Metern. Zu dieser Zeit waren die anderen Tore und Türme bereits seit einem halben Jahrhundert aus dem Stadtbild verschwunden!

 
 
 

 

Ein Reiseführer aus dem Jahr 1898 lobt den neu entstandenen Raum auf dem Ankerturm dann auch als "Zimmer mit Aussicht aufs Gebirge". Der Turm gehörte mittlerweile zu dem auf dem Marktplatz befindlichen Gasthaus „Zum Anker“ und erhielt dadurch endlich auch seine noch heute gebräuchliche Bezeichnung „Ankerturm“. Allerdings wurde das schöne symmetrische Fachwerk des Aufbaus damals noch von einem grauen Wetterschutz überdeckt, welcher erst im 20. Jahrhundert entfernt wurde.

Eine der letzten optischen Veränderungen erfolgte dann im Jahr 1938. Der Turm erhielt dabei eine Wetterfahne - einen metallenen Wimpel nach dem Entwurf von Albrecht Riedesel, einem bekannten Künstler der Region.

 
 
 
 

 

Markiert man die ehemalige Stadtmauer auf dem aktuellen Stadtplan, fallen natürlich sofort die doch eher beschränkten Maße des Lauterbach von 1266 auf. Einzig die Häuser innerhalb der hier rot gekennzeichneten Stadtmauer waren vorhanden. Natürlich nicht die hier aktuell verzeichneten. Seinerzeit gab es mehrere kleine Häuser anstatt der heute üblichen großen. Aber das Areal ist natürlich nach wie vor das gleiche.

Der Ankerturm, damals noch "Portturm", stand an der süd-östlichen Pforte. Von ihm aus führte ein steiler Weg hinauf zum Marktplatz. Heute befindet sich hier die "Porttreppe" (grün gekennzeichnet). Ansonsten gab es noch einen Einlass im Südwesten (Türmertor) und im Nordosten (Untertor - in der Verlängerung der Hintergasse). Der Zugang im Norden führt auch heute noch direkt zum Burgschloss.

 
 
 
 

 

Hier sehen wir den Ankerturm in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 1966. Die Stadt bereitet sich gerade auf die 700-Jahr Feier vor. Das Rathaus am Marktplatz ist eingerüstet, das Ufer der Lauter wird neu gestaltet.

Rechts neben dem Ankerturm erkennen wir zuerst das ehemalige Wohnhaus von Jean Louis Tilleur, dem bekannten Stadt-Chronisten (1735-1810), dann das mächtige Haus "Am Graben 18", das ehemalige Diehm´sche Lager- und Faktoreigebäude, und daran anschließend die kleinen Häuser des oberen Grabens, die fast alle Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet wurden und nahezu unverändert sind.

 
 
 
 

 

Zum Abschluss noch die Maße unseres geschichtsträchtigen Turms. Mit noch nicht mal 20 Metern gehört er sicher nicht zu den Größten seiner Art, aber die Mischung aus massivem Stein und filigranem Fachwerk macht ihn doch zu einer ziemlich einmaligen Sehenswürdigkeit.

Vielen Dank an den privaten Besitzer, der uns unser "Türmchen" mit viel Einsatz seit vielen Jahren zu erhalten weiß.