Lauterbacher Persönlichkeiten

Der Strolch - Eine Kunstfigur als Botschafter

 

Der Lauterbacher Strolch
(seit 1898)

Der Strolch ist aus der Geschichte und dem Stadtbild von Lauterbach nicht mehr weg zu denken. Auf jedem Prospekt, in jedem Schaufenster, ja sogar auf einigen Autos kann man ihn finden. "Ich bin ein Lauterbacher Strolch aus Hessen" liest man da, und man merkt, dass der Lauterbacher stolz auf seinen über Hundert Jahre alten Knaben ist.
Mittlerweile werden "Ehrenstrolche" gewählt, man isst den "Kleinen Strolch" als Käse zum Brot, oder lieber ein Pärchen Strolche aus der Metzgerei und man trinkt eine Flasche "Lauterbacher Bierstrolch" dazu. Strolche wohin man sieht.
Doch wo kommt der Kleine Mann denn überhaupt her? Ist ein "Strolch" nicht eigentlich eine negative Bezeichnung?

In einem Buch von Grimmelshausen aus dem Jahr 1672 lesen wir dazu:
(ich vergasz,) dasz es ein grosser unterscheid wäre zwischen demjenigen elenden, der weder arbeiten kan noch etwas zu erarbeiten bekommen mag, und zwischen einem unsichtbar herumfahrenden strolchen, wie ich damal war ...; davon jenem seines leben auffenthalt anzupacken erlaubet, diesem aber das zuchthausz gebührt.

 

Um die Geschichte des Strolches etwas näher zu beleuchten, fangen wir am besten mit der Herkunft des jungen Burschen anhand der bekannten Erzählung an. Da sie aber wirklich sehr bekannt ist, hier nur die Kurzform:

Es war einmal ein junger Strumpfmacher, der sich zu Fuß aus Süddeutschland aufmachte die Welt zu erkunden. Als der Winter hereinbrach, fand er in Lauterbach bei einem Strumpfmachermeister Arbeit und Quartier. Im folgenden Frühjahr machte er sich wieder auf den Weg, vergas aber beim Packen den bekannten und schicksalhaften Strumpf. Da es ihm in unserem Städtchen offensichtlich doch sehr gut gefallen hatte, erzählte er seinem späteren Wandergenossen, einem fahrenden Musikanten, immer wieder vom schönen Lauterbach und dem vergessenen Strumpf. Dieser machte daraus natürlich ein Lied, was beide überall zum Besten gaben. Damit war das Lauterbach-Lied geboren.

Schade nur, dass nie nachgewiesen wurde, dass sich diese Geschichte gerade in unserem Lauterbach zugetragen hat. Aber dazu unten mehr. Allerdings ist es auch verwunderlich, dass ein junger Strumpfmacher, der durch die Lande zieht, offensichtlich noch keine zehn Jahre alt ist. Und dass er außer dem einen Strumpf, den er nicht vergessen hat, sonst rein gar nichts an hat. Also quasi nackt durch die Lande zieht.
Trotz alledem hier zur Vollständigkeit das angesprochene Lauterbacher Strumpflied:

   

Strophe 1
In Lauterbach hab’ ich mein’ Strumpf verlor’n,
und ohne Strumpf geh’ ich net heim.
So geh’ ich gleich wieder nach Lauterbach hin
und hol’ mir mein’ Strumpf an mein Bein.

Refr.:
Schäppe Baa, schäppe Baa, schäppe Baa
sind immer noch besser als kaa!

 

Strophe 2
In Lauterbach hab’ ich mein Herz verlor’n,
und ohne Herz kann ich net leb’n.
So geh’ ich gleich wieder nach Lauterbach hin
und lass mir mein Herz wieder geb’n.

Refr.:
Schäppe Baa, schäppe Baa, schäppe Baa
sind immer noch besser als kaa!

 

Strophe 3
In Lauterbach hat mir’s gefalle, gefalle,
das Städtchen ist doch eine Zier.
Der Graben, die Porttrepp’, der Ankerturm,
am liebsten blieb’ ich immer hier.

Refr.:
Schäppe Baa, schäppe Baa, schäppe Baa
sind immer noch besser als kaa!

 

Vor dem Hintergrund der geschilderten Geschichte und dem Lauterbacher Strumpflied entwirft Julius Siemsen, ein Lauterbacher Malermeister und Mitbegründer des Museums, im Auftrag des Mandt-Verlages die erste "Strumpfkarte" bereits im Jahr 1898. Das Motiv des Jungen, der nur "einen Stumpf am Bein" hat, wird später so erfolgreich, dass auswärtige Firmen sogar Plagiate der Karten anfertigen.


Die Strumpfkarte nach dem Motiv von Siemsen


Die Villa Siemsen in der Bahnhofstraße auf einer Ansichtskarte

Dabei ist es wie gesagt gar nicht so sicher, dass sich die Sache mit dem verlorenen Strumpf gerade in unserem, dem hessischen Lauterbach zugetragen hat. Auch wenn das heute gerne behauptet wird.

So schrieb z.B. das Berliner Tageblatt, um den Sachverhalt endlich zu klären,  alle Orte mit dem  Namen "Lauterbach" an, und erkundigte sich, ob es gerade diese Gemeinde sei, die mit dem Strolch und dem verlorenen Strumpf gemeint seien. Alle angeschriebenen Bürgermeister und Ortsvorsteher verneinten in ihren Antworten die Frage. Nur unser Lauterbach, am Fuße des Vogelsberges, meldete sich nicht auf die Anfrage. Vielleicht hatte der damalige Bürgermeister eine bessere Verwendung für die beigelegte Freimarke für den Rückumschlag. Und so folgerte das Berliner Tageblatt, dass wir es in Hessen wohl sein müssten, die Stadt mit dem Strolch.


Plagiat einer Lauterbacher Strumpfkarte

Nur wenige Jahre nach der ersten "Strumpfkarte", oder wie man in Lauterbach sagte "Strompkart", entwarf W. Schultz den erfolgreichsten und noch heute bekannten Strolch mit seinem roten Regenschirm und der grünen Botanisiertrommel, in dem ihm in den folgenden Jahren von Käse bis Bier so einiges hinein gebastelt wurde.


Das Original von W. Schultz

Aber auch andere Künstler widmeten sich dem Motiv. Da wäre z.B. die durch ihre Figuren weltbekannte Schwester Maria Innocentia Hummel, besser bekannt unter ihrem Geburtsnamen Berta Hummel. Sie stand im engem Kontakt mit Gustav Mandt und entwarf einige wundervolle Karten mit unbeschwerten Kindermotiven. Eine von ihnen diente  später als Vorlage für eine Figur, die, wie alle Hummel-Figuren, heute sehr hoch gehandelt wird.


Der Lauterbacher Strolch nach Hummel als Karte...


... und als begehrtes Sammlerobjekt aus Porzellan.

Anders als Siemsen, Schultz oder Hummel näherte sich Otto Quante den Motiven "Strolch" und "verlorener Strumpf". Bei ihm, einem ehemaligen Augenarzt, sind die Strolche schon im gesetzteren Alter. Sie haben, heute würde man sagen, "das Gröbste schon hinter sich". Ganz nach Quantes Motto "Ruhe mit Würde, wer das erreicht, hat des Lebens Gipfel erklommen; ihm ist, da der Alltag schweigt, ewiger Sonntag gekommen." verlegt er das Strolch-Thema in die Handwerksburschenromantik. Die Lässigkeit seiner Figuren ist dabei unerreicht.

Der überregionale Durchbruch für den Jungen mit dem Regenschirm und der Botanisiertrommel kam allerdings erst im Jahr 1905, als er zur Werbeikone für die Molkerei-Genossenschaft Fulda-Lauterbach wurde. Sein Bild auf der Schachtel des ersten deutschen Camemberts wurde weltbekannt. Ja sogar der Käse selbst, der hier in Lauterbach seit dem Jahr 1887 hergestellt wurde, bekam den Markennamen "Lauterbacher Strolch-Camembert" und wurde 1908 beim Reichspatentamt geschützt. Keine schlechte Wahl, wie sich schnell heraus stellte.

 

Der Siegeszug des Lauterbacher Camemberts und des kleinen nackten Jungen war praktisch nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr Produkte der Lauterbacher Molkerei erhielten seinen Namen. Wer erinnert sich nicht an die (zugegebener Maßen etwas nervende) Rundfunk-Werbung "Warum kaufen lauter Leute laufend Lauterbacher Strolch Camembert?" aus den 80er Jahren?

Doch im Jahr 1998, nach der Übernahme der Milchwerke durch die Moha-Gruppe, wurde aus dem "Lauterbacher Strolch" dann "Der kleine Strolch". An Lauterbach erinnerte nur noch ein kleiner Aufdruck im Inneren des Deckels der Käseschachtel. Im Jahr 1999 verlegte man dann die Produktion aus dem oberhessischen Lauterbach in das oberfränkische Lendershausen, Ende 2003 dann schließlich von Lendershausen nach Coburg. Der Strolch hat quasi seine Heimat verloren. Zumindest was den Käse angeht.


Winkt er uns zu, oder ist das ein Hilferuf?

Grund genug für Lauterbach und die Lauterbacher, dem Strolch hier, in seiner Heimatstadt, etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Nachdem der Markenschutz des Mandt-Verlages auf den Strolch abgelaufen war, ließ der Verkehrsverein Lauterbach den Strolch als Symbolfigur beim Patentamt eintragen.

Nachdem schon im August 1976 dem Strolch mit dem damals neu errichtete Strumpfbrunnen ein Denkmal gesetzt wurde, bekam Lauterbach und seine Besucher am 30. April 2005 eine neue Strolchplastik in der Lauter direkt bei den Schrittsteinen vorgestellt.
Während die Figur des Strumpfbrunnens vor der Stadtmühle am Berliner Platz, die von Prof. Knud Knudsen geschaffen wurde, nicht so recht an den Strolch erinnert (und meiner persönlichen Meinung nach auch sehr gewöhnungsbedürftig ist), und der gesamte Brunnen mit seiner Sandsteinkonstruktion auch nicht so recht in das Bild von Fachwerkhäusern und einer gotischen Mühle passen will, fügt sich der "neue" Strolch an den Schrittsteinen vollends in die Harmonie seiner Umgebung ein. Allen Unkenrufen zum Trotz, die vor der Enthüllung die Leserbrief-Ecke in der Regionalpresse füllten, wurde der Strolch auf seinem Sockel in der Lauter voll und ganz angenommen.

An die Spender des Denkmals auch von hier aus noch mal vielen Dank!

Nachdem unser Strolch also mit seinem Käse in die Ferne ziehen musste, blieb sein Geist also doch für immer in Lauterbach erhalten. Auch wenn er heute Konkurrenz von dicken Frauenplastiken auf dem Marktplatz, oder von in die Luft schauenden Mäusen auf dem Berliner Platz bekommen hat; unser Strolch bleibt unser Strolch.

Auch wenn ihm im Frühjahr auf seinem Sockel in der Lauter schon mal das Wasser bis zum Hals steht.

 

 





 

Die Sammlung von Strolch-Motiven könnte sicher noch seitenweise weitergeführt werden.
Hier kommen aber "nur" noch 36 weitere, um das Bild etwas weiter zu vervollständigen.
Viel Spaß also beim herumSTROLCHen:
 


Diese eher schlichte Karte stammt von dem bekannten Marburger Künstler Otto Ubbelohde.

 

 
Hier zweimal der Strolch von W. Schultz, der als Vorlage der meisten Darstellungen gilt.
Links als Original, die Botanisiertrommel ohne Inhalt, rechts schon voll Käse gepackt.

 

       
Nach der Vorlage von Schultz entstand auch diese Plastik aus Porzellan.


Ob am Strolchdenkmal....

 


.... oder in der Werbung der "Feinkäserei Lauterbach", überall findet sich das Motiv von Schultz wieder.

 

                 
Zwischen diesen Produkten liegen fast 100 Jahre:
Eine Camembert-Schachtel von 1910 und ein Lauterbacher Bier-Strolch von 2002

 

    
Als Abschluss der Motive nach Schultz hier drei Interpretationen des Strolches von Rudolf Tuscher, einem Lauterbacher Künstler.

 

      
Karl Lindegreen malte den Strolch noch jünger, Teilweise fast noch als Säugling.
Die Auftragsarbeiten vom Mandt-Verlag bewegen sich allerdings haarscharf am Kitsch vorbei.

 

  
Was eine Kunstanstalt in Heilbronn allerdings nicht davon abhielt, das Motiv
eiskalt zu kopieren und dem armen Jungen einen Käselaib in die Hand zu drücken.

 

 
Über 80 Jahre winken uns hier in Form des Strolches zu:
Die Werbung links stammt aus dem Jahr 1902, rechts streckt uns im Jahr 1984 zusätzlich noch die "Rote Kuh" die Zunge heraus.

 


Aber auch andere Lauterbacher Firmen warben gerne mit dem Strolch.
Hier z.B. die Mechanische Weberei Struth, Inh. Opel u. Kaus



Ein etwas in die Jahre gekommener
Strolch von Paul Sinkwitz



Und ein recht jugendlicher
von Charlotte Müller



Eine sehr verbreitete Karte mit goldener Prägung und
einem weinenden Strolch nach Joost.



Mit den spielenden Kindern entfernt sich Gräfin Luise von Geldern-Egmond vom klassischen Strolch-Motiv.

 

Zum Schluss dieser Expetition ins Strolchen-Land möchte ich
ihnen noch einige "Findlinge" ohne Kommentar präsentieren.
Also viel Spaß noch mit dem Thema "Strumpf verlor`n":

 

                   

 

       

 

        

 

     

 
 





Nochmals vielen Dank für ihr Interesse
an meiner kleinen Strolchsammlung!